Autism $peaks — Reden ist Gold
Dieser Artikel erschien zuerst im N#MMER Magazin, Ausgabe 2/2015.
Das People-Magazin kürte Ende Juni 2015 Bob und Suzanne Wright zu Helden unter uns. Für viele erwachsene Autisten sind die Gründer der Organisation Autism Speaks dagegen das Böse in Person. Was macht die Helden der einen zu den Bösewichten der anderen? Ein kritischer Blick hinter die Kulissen der weltweit größten Autism-Awareness-Organisation.
Bob und Suzanne Wright gründeten Autism Speaks im Jahr 2005, nachdem ihr Enkel im Alter von 2 Jahren diagnostiziert wurde. Sie berichten, dass ihre Idee entstand, nachdem sie ein halbes Jahr durchs Land getingelt waren und zahlreiche Autismusveranstaltungen besucht hatten. Ärzte, die den Eltern keine Antworten geben und keine Hoffnungen machen konnten, sowie zahlreiche Berichte von Familien, die über selbstfinanzierte Autismustherapien bankrottgegangen waren, hätten sie zu diesem
Schritt inspiriert.
Die mediale Reichweite, die Autism Speaks in doch verhältnismäßig kurzer Zeit aufbauen konnte, ist keineswegs Zufall. Vor seinem Leben als Großvater und Vorstandsmitglied einer der größten Angehörigenorganisationen war Bob Wright CEO des drittgrößten Medienkonzerns der USA: nämlich NBC Universals , zu dem so bekannte Sender wie Syfy und MSNBC oder auch das Streamingnetzwerk hulu gehören. Dieser Einfluss und diese Reichweite waren es, die das Nischenthema Autismus in knapp fünf Jahren weltweit in die Schlagzeilen und damit auch ins Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung holten. Zwar konnte man auch in den Jahren zuvor bereits einen Anstieg bei der Berichterstattung wahrnehmen, aber diese drehte sich oft um die kurioseren Aspekte von Autismus, wie die Zunahme von frühkindlichem Autismus im Silicon Valley und die darauf folgende Entdeckung einer hohen Asperger-Rate unter den bei IT-Unternehmen beschäftigten Eltern.
Fass ohne Boden
Trotz der Hilflosigkeit vieler Familien, die Bob und Suzanne Wright als ihre hauptsächliche Motivation angeben, nutzte Autism Speaks den medialen Einfluss im Verlauf der letzten zehn Jahre nur spärlich, um das Leben seiner Mitglieder und anderer Familien von Autisten direkt positiv zu beeinflussen.
Von den eingesammelten Spendengeldern werden nur 4 % in Familiendienste investiert, das ist sogar ein Prozent weniger, als die Organisation für Gehälter und Reisekosten ihrer 33 Vorstandsmitglieder und mehr als 200 Angestellten vorsieht. 21 % fließen in „Awareness“, also maßgeblich in die Pressearbeit und Produktion von Filmen und Materialien sowie in die Werbung. 22 % der Einnahmen fließen direkt wieder in Spendenaktionen.
Der größte Anteil, 44 %, fließt in die Forschung (Zahlen von 2010). Es bleiben also ziemlich wenig Mittel für Maßnahmen übrig, die direkt jenen Menschen helfen, deren Schicksale die Wrights so berührt haben sollen.
Das Missverhältnis zwischen Gehältern, Ausgaben für den Werbeetat und Fundraising sowie den Ausgaben für Dienste und Hilfen, die Familien zugutekommen und der Forschung, brachte der Organisation in der Vergangenheit im Charity-Rating nur zwei von vier Punkten ein. Damit galt AS als „wirtschaftlich unzuverlässig“. Das hatte, trotz der medialen Dominanz, schließlich Auswirkungen auf den Spendenfluss, so dass man
sich bemühte, das Missverhältnis zu beseitigen. Im Charity Report von 2013 gibt Autism Speaks an, nun immerhin 70 % in sein „Programm“ zu investieren. Das Rating stieg dadurch von zwei auf drei Punkte.
Die Behauptung, Autism Speaks helfe Autisten und ihren Familien, ist dennoch weiterhin ziemlich gewagt, außer, man folgt der Argumentationsweise von Autism Speaks selbst und wertet die Forschung nach der Autismusursache und potenziellen Behandlungsmöglichkeiten als direkte Hilfe. Hilfe aber, die selbst im Erfolgsfall erst in Jahrzehnten
zur Verfügung stehen dürfte.
Amerikanische Tragödie
Neben der zweifelhaft en Verwendung der Gelder steht Autism Speaks vor allem wegen der speziellen Sichtweise auf Autismus als Behinderung in der Kritik. Die Organisation ist eine Vertreterin des Wohlfahrts- und Tragödienmodells von Behinderung, von dem sich die meisten übrigen Organisationen für behinderte Menschen bereits seit geraumer Zeit verabschieden. So nannte sich zum Beispiel die Aktion Sorgenkind in Aktion Mensch um, um beginnendes Umdenken nach außen zu tragen.
Diese Einstellung ist bei der weltweit größten Autismusorganisation noch nicht angekommen. Im Gegenteil. Und viel deutet darauf hin, dass die ideologische Ausrichtung weiterhin aus der Einstellung der beiden Gründer und ihrer Familie genährt wird.
So verglich Suzanne Wright Autisten in ihrer Rede im Vatikan indirekt mit Leprakranken. In von Autism Speaks in Auftrag gegebenen Werbefilmen
und Dokumentationen weist die Organisation immer wieder auf die angeblich zerstörerische Wirkung von Autismus auf die Familien autistischer Kinder hin. Für die Darstellung von Autisten selbst greift man gerne auf die alten irisch-keltischen Feensagen zurück und nennt Autisten „gestohlene Kinder“, also Kinder, die von nichtmenschlichen Wesen gegen ein seelenloses Scheinkind ausgetauscht werden, oder behauptet, diese seien, ähnlich wie Wachkomapatienten, in ihren eigenen Körpern eingesperrt.
Hinter der unsichtbaren Barriere, so möchten die Gründer den Rest der Welt glauben machen, befände sich ein normales Kind, dem man nur durch allerlei Interventionen dort heraushelfen müsse.
Die Antwort auf die Frage, warum Autismus nun eigentlich zerstörerischer auf die betroffenen Familien wirken sollte als beispielsweise das Downsyndrom oder schwere Mehrfachbehinderungen, bleiben Bob und Suzanne Wright schuldig. Sie bekräftigen ihre Einstellung lieber in Filmen wie I am Autism und Sounding the Alarm.
Ihr Narrativ blieb nicht ohne Folgen. So nannte die Mutter von Issy Stapleton als Grund für einen Mordanschlag auf die eigene Tochter ihre Verzweiflung darüber, dass trotz aller intensiven Autismustherapien einfach kein normales Mädchen aus dem Autismuskokon hervorschlüpfen
wollte. Issy Stapleton überlebte die Attacke. Die Kinder anderer derartig „enttäuschter“ Mütter hatten weniger Glück.
Die Morde und Mordversuche sind für Autism Speaks wie auch die Gründer aber kein Grund, über die eigene Haltung und Ausrichtung nachzudenken. Vielmehr verärgerten sie Autisten weltweit, indem sie diese Taten als willkommene Gelegenheit nutzten, um Verständnis für die schwierige Lage der Mütter einzufordern und ihre Spendenkampagnen zu beflügeln. Mitgefühl für die Opfer hört man aus den Kreisen der Organisation dagegen nicht.
Kalter Krieg oder: David gegen Goliath
Ob man aus diesem Verhalten nun direkt auf Hass oder Abscheu gegenüber Autisten zurückschließen kann, ist unklar. Jedenfalls ist die Kommunikation
zwischen Autisten, Organisationen von Autisten und Autism Speaks schwer gestört. Und das liegt in diesem Fall nicht an den Autisten.
So gibt es derzeit keinen Autisten, der bei Autism Speaks in tragender Funktion tätig ist. Der Einzige, der jemals Mitglied des Vorstandes war, der bekannte Autor John Elder Robison, trat von seinem Posten zurück, nachdem Suzanne Wright einen besonders fragwürdigen Artikel dazu veröffentlicht hatte, wie ihrer Meinung nach mit dem „Problem“ Autismus
umgegangen werden müsse. Öffentlicher Kritik an der Organisation durch Autisten begegnet sie immer mit der gleichen Strategie, die sich als überaus
effektiv erwiesen hat: Schweigen.
Auf Presseanfragen, die sich auf Kritik durch Autisten beziehen, gibt die Pressestelle zuverlässig keine Antwort. Damit erreicht Autism Speaks, dass viele Publikationen, wenn sie nicht in der Lage sind, ausgewogen über beide Seiten zu berichten, Berichte über Proteste lieber gleich ganz unter den Tisch fallen lassen, wie es kürzlich mit einem Interview geschah, das die nichtsprechende Autistin Amy Sequenzia der Onlinepublikation MTV News gab. Die Befürchtung, dass Bob Wright mit seinen Kontakten in der Medienbranche die eine oder andere Karriere beschädigen könnte, mag in die Entscheidung der Redaktionen hineinspielen und manche in vorauseilendem Gehorsam handeln lassen.
Die Vermutung, dass Bob Wright seinen Einfluss nutzt, um Kritik aus dem Netz zu wischen, legen auch die Kritiken zur Dokumentation Sounding the Alarm auf Netflix nahe. Die überwiegend negativen Kritiken und Bewertungen verschwanden nahezu über Nacht. Auch gab es in der Vergangenheit mehrere Versuche, Webseiten unliebsamer Kritiker aus dem Netz zu drängen beziehungsweise Domainnamen „feindlich“ zu übernehmen. Die Haltung gegenüber Kritikern ist auch wieder auf die Ideologie des Unternehmens zurückzuführen. Für Autism Speaks sind nur nichtsprechende Autisten echte Autisten. Wer der von ihnen verbreiteten Darstellung widerspricht, kann also kein Autist und seine Meinung somit auch nicht von Bedeutung sein.
Mit Ausnahmen: Autism Speaks bedient sich gerne an Materialien, die verbale Autisten im Netz veröffentlichen. So nutzte man zum Beispiel einen Ratgeber der Autistin Kassiane Sibley und übernahm Zitate ins eigene Material. Als sie sich gegen die Verwendung ihrer Inhalte und die Vereinnahmung ihrer Person durch diese Organisation zur Wehr setzte, änderte Autism Speaks die Schriftfarbe ihres Namens auf weiß, beließ ihn aber im Text.
Die Richtung, die die Organisation einschlägt, entspricht ganz den Vorstellungen der Gründer und der in Autism Speaks organisierten Eltern
von Autisten. Autisten haben wortwörtlich nicht mitzureden. Fehlende Solidarität trifft aber nicht nur Autisten, sondern auch kleine, regional organisierte Autismusorganisationen. Autism Speaks veranstaltet regelmäßig große „Walks“, um vor Ort auf sich aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln. Als eine Organisation in Vermont ebenfalls einen Walk veranstalten wollte, um örtliche Projekte zu unterstützen, organisierte Autism Speaks kurzfristig einen eigenen Walk genau einen
Tag vor dem geplanten und angekündigten Event der Konkurrenzorganisation, wohl wissend, dass niemand, der bereits am ersten Tag gespendet hatte, das am zweiten Tag erneut tun würde.
Wissen oder Weihrauch?
Mochte bisher alles noch ins Bild einer Organisation passen, die Autisten als bemitleidenswerte Subjekte sieht, die man entmündigt und an die Hand nimmt, verwundert Autism Speaks mit einem Spagat. Trotz des extrem hohen Forschungsbudgets ist das Verhältnis zu Wissen und Wissenschaft
keineswegs ungetrübt. Welche Forschungsvorhaben auf den Geldsegen aus New York hoffen dürfen, entscheidet der Vorstand, dessen Mitglieder immer wieder durch pseudowissenschaftliche Aussagen auffallen.
Eine besonders unrühmliche Rolle spielte Autism Speaks bei der Verbreitung der Legende, welche eine Verbindung zwischen dem Anstieg der Autismusdiagnosen und der MMR -Kombinationsimpfung behauptete. Erst Ende 2014 wandte sich die Organisation, im Zuge jüngerer Masern-Epidemien in den USA, offiziell von der Behauptung ab und empfahl Eltern, ihre Kinder zu impfen. Allein — die Worte, die Bob Wright zu diesem Thema findet, lassen an seiner inneren Überzeugung zweifeln.
Auch von anderen, wissenschaftlich fragwürdigen oder klar pseudowissenschaftlichen Ansätzen distanzierte sich Autism Speaks nicht oder nur zäh. Auf ihren Webseiten ist auch drei Jahre nach dem offiziellen Ende des DAN! (Defeat Autism Now!) -Behandlungskonzepts des pseudo-
wissenschaftlichen Autism Research Institutes ein Verweis auf DAN! zu finden. Ebenso bieten die AS-Webseiten reichhaltige Informationen und
Linksammlungen zu den fragwürdigen Gluten-free-Casein-free-Diäten.
Schlachtgesänge
Trotz der Abkehr von der Impflegende fokussiert sich die von Autism Speaks finanzierte Forschung weiterhin auf zwei Kernbereiche: die Suche nach den Ursachen von Autismus und die Suche nach einem Heilmittel. Die enorme Popularität, die Autism Speaks innerhalb von nur 10 Jahren erreichte, und die enormen Spendensummen, die die Organisation einsammelt, sind vermutlich die Hauptursachen für die Goldgräberstimmung, die den Bereich der Autismusforschung erfasst hat. Das Wohlergehen der lebenden und zukünftigen Autisten ist dabei nicht der Fokus der Menschen um die Wrights und der von ihnen finanzierten Forschung.
Ihnen schwebt ein Autismusfrühtest vor, wie es ihn bereits für das Downsyndrom gibt, um die Gesellschaft von Autisten zu entlasten. Der britische Autism Speaks -Ableger Autistica sprach bereits ganz offen von Euthanasie, weil die öffentlichen Gesundheitskassen zu sehr durch Autisten
belastet würden.
Die Ironie dabei ist, dass Autistica und Autism Speaks kräftig daran beteiligt sind, die Kosten in die Höhe zu treiben. Die derzeit von ihnen präferierte und heftig lobbyierte Therapieform ist die intensive Verhaltenstherapie von bis zu 40 Therapiestunden wöchentlich über viele Jahre hinweg. Obwohl die Erfolge, wie man unter anderem auch an Issy Stapleton sehen konnte, eher überschaubar bleiben und in keinem Verhältnis zum investierten Geld oder den an Autisten verursachten Traumata stehen.
Für Autism Speaks ist diese Forschung ein Kreuzzug und Autismus der Feind, den es zu bekämpfen und vernichten gilt. Diese Kriegsrhetorik
bleibt für die Bevölkerungsgruppe, auf die sie sich bezieht, nicht ohne Folgen.
Die Folterversteher
Während der Rest der Welt so langsam auf den Trichter kommt, dass die Abschottung von Menschen mit Behinderungen in spezialisierten Schulen und Wohnheimen vielleicht nicht die beste Idee war — Umdenken, das sich beispielsweise im Americans with Disabilities Act und der UN-Behindertenrechtskonvention wiederfindet –, arbeitet Autism Speaks häufig und gerne mit klassischen Einrichtungen zusammen. Vor allem wenn diese
Häuser behavioristische Therapiekonzepte verfolgen.
Wie weit die Organisation dabei zu gehen bereit ist, beweist ihre Zusammenarbeit mit dem Judge Rotenberg Educational Center , das inzwischen bereits zu einer gewissen traurigen Berühmtheit gelangt ist. Das Judge Rotenberg Center hebt sich von anderen Heimen vor allem durch die Anwendung des sogenannten Graduated Electronic Decelerators (GED) ab. Diese Geräte lassen sich am ehesten mit einem Elektroschock-Halsband für Hunde vergleichen, können an verschiedenen Körperregionen angebracht werden und sind vom Träger nicht zu entfernen. Sie geben elektrische Schocks ab, die schmerzhaft , aber angeblich harmlos sind, in der stärksten Geräteklasse namens GED-4 jedoch nicht selten zu Verbrennungen und Narben führen.
Schocks setzt das Center auch schon bei kleinen Vergehen ein. Im Internet kursiert ein nur schwer erträgliches Video, das einen jungen Mann zeigt, der bestraft wird, weil er sich weigerte, seinen Mantel auszuziehen. Das Erziehungskonzept der Einrichtung sieht absoluten Gehorsam und Unterwerfung für die Insassen vor, wie unter anderem die Berichte der JRC -Überlebenden Jennifer Msumba beklemmend zeigen. Ähnliche Zustände kennt man eigentlich nur aus den inzwischen geschlossenen Heimen der Haasenburg GmbH . Beim Judge Rotenberg Center ist bislang keine Abkehr von der aktuellen Linie zu erkennen. Lediglich die FDA (Food and Drug Administration) denkt über Maßnahmen wie ein Verbot der GED-Geräte nach.
Ins Blaue
Das geschickte Marketing und das nicht minder geschickte Unterdrücken kritischer Stimmen ließ Autism Speaks zum Synonym für „wir helfen Autisten“ werden. Die meisten Menschen sind sich gar nicht bewusst, dass weder das Puzzleteil noch die Farbe Blau akzeptierte Autismussymbole sind. Sie wurden von Autism Speaks für das eigene Marketing eingeführt und werden heute doch weithin nicht als halbwegs kommerzielle Markensymbole wahrgenommen, sondern als aus der „Community“
heraus entstanden missdeutet.
Auch die inzwischen weltweit populäre Awareness-Aktion Light It Up Blue ist einzig von Autism Speaks initiiert und eignet sich nicht, um in irgendeiner Form auf Autismus aufmerksam zu machen oder Autisten zu unterstützen. Die Teilnahme öffentlicher Einrichtungen wie Theater oder
Museen stärkt lediglich die Wright’sche Marke.
Autisten selbst wehren sich aktiv, aber weitgehend ungehört dagegen, durch aufgezwungene Zeichen und Symbole repräsentiert zu werden. Mit
selbstgewählten Symbolen in Gestalt der Giraffe und des Unendlichkeitssymbols hält vor allem die englischsprachige Autistengemeinde gegen die blaue Übermacht.
Erneuerung
Derzeit ist Autism Speaks wohl das größte Hindernis, wenn es darum geht, das Bild von Autismus in der Gesellschaft positiv zu beeinflussen und günstige Bedingungen für Autisten zu schaffen. Aber gibt es Hoffnung auf Veränderung?
Autism Speaks ist eine Organisation der Großelterngeneration. Einer Generation, für die Menschen mit Behinderungen zeitlebens unmündige Kinder blieben, die man am Rande der Gesellschaft versorgt, aber nicht integriert. Die sich als „gute Tat“ zu den eigenen Bedingungen mit Menschen mit Behinderungen beschäftigte und im Gegenzug Dankbarkeit erwartete. Die sie weder als gleichberechtigte Individuen sieht noch neben sich in der
Mitte der Gesellschaft haben will.
Und schlussendlich ist es eine Organisation ohne Autisten.
Nachtrag — 21. März 2017
Autism Speaks hat im Jahr 2016 das “Mission Statement” angepasst und hat damit auch auf die anhaltende Kritik reagiert. Die Suche nach einem Heilmittel wird nicht mehr als Ziel der Organisation genannt.
Modelle von Behinderung
Unter den „Modellen von Behinderung“ versteht man die Betrachtungs- und Denkweisen, die die Gesellschaft, aber auch behinderte Menschen
selbst in Bezug auf Behinderungen einnehmen.
Die bekanntesten, und dabei komplett gegensätzlichen, Modelle sind das medizinische und das soziale Modell. Die Antwort auf die Frage
„Warum kommst du nicht in das Haus?“ würde beim medizinischen Modell lauten „Weil du nicht gehen kannst“ und beim sozialen Modell „Weil das Haus Stufen hat“.
Das medizinische Modell ist das bislang vorherrschende Modell von Behinderung.
In ihm wird versucht, den einzelnen behinderten Menschen zur Normalität hin zu behandeln und zu therapieren, während das soziale Modell versucht, die Barrieren im Alltag abzubauen. Das medizinische Modell erklärt den behinderten Menschen zur Baustelle und definiert, dass er nicht richtig ist und daher repariert werden muss. Ein „normales Leben“ ist das Fernziel derartiger Interventionen. Solange der Idealzustand nicht erreicht wird, ist die Teilhabe am Leben aber oft nicht möglich.
Das soziale Modell dagegen versucht die vorhandenen Barrieren abzubauen
und somit eine Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft zu ermöglichen. Es deckt sich weitgehend mit der UN-Behindertenrechtskonvention
und dem Inklusionsgedanken. Oft wird gegen das soziale Modell mit dem Kostenfaktor argumentiert. Dabei wird vergessen, dass die Mittel für die oft teuren Interventionen des medizinischen Modells lediglich aus anderen Töpfen (Krankenkassen & Rentenfonds) stammen und der Abbau von Barrieren allen Menschen zugutekommt. So profitieren junge Eltern und ältere Leute ebenso von Rampen wie Rollstuhlfahrer und alle Kinder
von inklusivem Unterricht.
Das Tragödien- und Wohlfahrtsmodell von Behinderung tritt oft zusammen mit dem medizinischen Modell auf. Es stellt Menschen mit Behinderungen als Opfer der Umstände dar, die das Mitleid der nichtbehinderten Mehrheit verdienen. Wie das medizinische Modell definieren hier Nichtbehinderte, was Behinderte brauchen und wie sie zu behandeln sind. Menschen mit Behinderungen sind keine gleichberechtigten Partner, mit denen man auf Augenhöhe interagiert.